Es gibt über 30 verschiedene Arten zuzuhören. Jede davon hat ihre Berechtigung. Im Einsatzleitstand ist es transaktional, beim ersten Date kommt es (hoffentlich) auf Beziehung an. Was kann Zuhören bewirken und wo macht es einen Unterschied? Ein Gespräch nach dem anderen schauen wir uns diese Feinheiten an. Die Blogreihe starte ich mit Ulla Blockhaus.
Ulla Blockhaus ist Logopädin. Sie behandelt Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Kinder und Erwachsene mit komplexen Behinderungen, nach Hirnverletzungen oder mit neurologischen Erkrankungen. Ihre Mission ist „Teilhabe durch Sprache“. Sie ist ebenfalls systemische (Familien-) Therapeutin, Beraterin und Coach. Darüber hinaus widmet sie sich dem Thema leichte und einfache Sprache, auch um zu vermitteln, dass dies keineswegs ausschließlich für Menschen mit Behinderung wichtig ist.
Was ist das Besondere am Zuhören bei deiner Arbeit mit Menschen, die ihr Sprachvermögen ganz oder teilweise verloren haben?
Ich halte es aus, dass am Anfang der Zusammenarbeit ganz lange erst einmal nichts gesagt wird und bekomme dann Schritt für Schritt ein Gefühl dafür, ob meine Worte und Fragen meine Patient:innen erreicht haben. Die Rückmeldung ist ganz unterschiedlich, zum Teil auch mimisch oder gestisch eingeschränkt. Das dauert, mal 30 Minuten, mal sogar länger. Zuhören ist dabei fast ein metaphysischer Akt: wir nehmen Schwingungen auf. Sich Zeit zu lassen, liefert Vertrauen. Dabei bleibe ich die ganze Zeit zugewandt und im Kontakt, denn selbst der Griff zur Kaffeetasse würde den Prozess unterbrechen. Es ist eine vorurteilsfreie Annäherung. Ich stelle mir vor, ein leeres Blatt Papier zu sein und nehme einfach auf, was kommt. Die große Falle heißt Vorannahmen, auch wenn diese wohlgemeint sind. Meine Offenheit ist wichtig, denn viele Patient:innen haben eine Erwartungserwartung, d.h. sie erwarten, dass ich erwarte, dass sie meine Hilfestellungen leicht umsetzen können. Daraus könnte sich Druck oder Irritation ergeben, zumal wenn meine Hilfestellung nicht spontan hilft. Diese Erwartungshaltung muss ich erkennen und auflösen.
Wie hast du gelernt, zuzuhören?
In der therapeutischen Ausbildung habe ich in erster Linie gelernt, wie man mit denen arbeitet, die sich aktiv beteiligen. Den Umgang mit Patient:innen, die sich nicht ausdrücken können, habe ich mir selbst mit der Zeit aus dem, was ich wollte, erarbeitet. Ich sehe Krankheiten nicht als etwas, das ich bekämpfen muss, sondern frage mich, wie ich mit den Störungsbildern umgehe.
Wann hat Zuhören einen Unterschied gemacht?
In jedem Erstgespräch gibt es einen Moment, bei dem sich eine große Erleichterung einstellt, wenn die Patient:innen merken, dass ich vorurteilsfrei zuhöre – ohne Testhandbuch. Ich versuche, eine Beziehungsebene aufzubauen und ihnen zu zeigen, dass mir nicht daran gelegen ist ihre Sprachvermögen zu bewerten oder zu kategorisieren.
Diese Erleichterung macht den Unterschied: dann geht etwas mehr, mehr Entspannung, eine Spastik löst sich, drei Worte am Stück oder ein schiefes Lächeln gelingen auf einmal. Auch für die Eltern von Patient:innen löst sich viel, wenn sie wahrnehmen, dass ich ihr Kind wohlwollend sehe. Das fühlt sich an, als würden sie dem Kind einen Rucksack von den Schultern nehmen.
Klient:innen hören dann auch selbst besser zu und das gibt Freiräume, Ziele und Schritte zusammen zu definieren. Wir gehen den Behandlungsweg gemeinsam und hecheln nicht fertige therapeutische Blaupausen durch.
Wir können uns eingestehen „du hörst etwas anderes als ich“.
Das nimmt mir als Therapeutin auch den Druck. Diese Blaupausen oder Templates schalten oft das eigene Denken aus. Wir wägen wieder ab, was richtig und was falsch ist, was uns häufig abgesprochen wird. Für viele Situationen gibt es einfach keine Templates. Daher ist es wichtig, einen stabilen Wertekompass zu haben und uns und anderen zuzuhören.
Was hat sich für dich durch dein Zuhören verändert?
Das ist Teil eines Entwicklungsprozesses, Ursache und Wirkung zugleich. Ich bin entspannter in meiner Arbeit. Auch wenn ich mit Absurditäten konfrontiert werde, kann ich mich immer zurücknehmen, es sei denn, da sitzt ein knurrender Pitbull vor mir.
Liebe Ulla, vielen Dank!
Wenn ihr mehr zu Ulla erfahren möchtet, dann ist die Adresse www.ullablockhaus.de genau der richtige Anlaufpunkt.
Liebe Alexandra,
ich freue mich jetzt schon auf diese „Serie“. Toll. Auch dieses erste Interview, mit Logopädin Ulla. Mit dir gemeinsam und durch deinen Blog sich hier auf die Reise zu machen und die Arten des Zuhörens wahrnehmbarer und greifbarer zu machen. Wir können alle so viel lernen in diesem Bereich.
Herzlichen Dank dafür,
Gabriele
Ein wunderbarer Auftakt für diese Blogserie. Ich freue mich sehr – besonders, da du auch den Reichtum an verschiedenen Arten des Zuhörens angesprochen hast.
Oft habe ich Beiträge gehört und gelesen, in denen es um “Stufen” und “Levels” geht, als wäre Zuhören lediglich eine Challenge, bei der man bei Stufe 10 dann den goldenen Pokal bekommt. 😊