Wie Kooperation das härteste Rennen der Geschichte gewann
Im Jahr 1911 brachen zwei berühmte Expeditionen mit demselben Ziel in die Antarktis auf: als erste Menschen den Südpol zu erreichen. Eines der härtesten Rennen aller Zeiten.
Die Missionen von Robert Falcon Scott und Roald Amundsen standen jedoch unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen und entwickelten sich zu einem dramatischen Wettlauf, bei dem am Ende der Führungsstil über Leben und Tod entschied. Während Scotts autoritäre Führung und Disziplin an den harschen Bedingungen scheiterte, führte Amundsens kooperative und pragmatische Herangehensweise sein Team schließlich zum Erfolg.
Am Ende gewann Amundsen, und Scotts Expedition endete tragisch. Was war das Erfolgsgeheimnis, das Amundsen ans Ziel brachte? Die Ausgangsbedingungen der beiden Teams hätten kaum unterschiedlicher sein können:
Traditionelle Hierarchie und britische Disziplin
Robert Scott, ein britischer Marineoffizier, führte seine Mannschaft in klassischer militärischer Strenge. Er war fest davon überzeugt, dass Disziplin und Gehorsam der Schlüssel zu einer erfolgreichen Expedition seien. Entscheidungen traf er oft ohne Rücksprache mit seinem Team, und er setzte auf strikte Anweisungen und Standardverfahren.
Scotts Ziel war nicht nur das Erreichen des Südpols, sondern auch wissenschaftliche Forschung, die seiner Expedition einen zusätzlichen moralischen Wert und eine edlere Mission verlieh. Diese zusätzlichen wissenschaftlichen Aufgaben lenkten jedoch Ressourcen und Aufmerksamkeit ab und erhöhten das Risiko für das Team. Auch die Idee, die britische Ehre zu verteidigen und durch Disziplin und Durchhaltevermögen zu glänzen, führte Scott zu einem Ansatz, der auf eiserne Entschlossenheit setzte, anstatt auf realistische Anpassungen an die harschen Bedingungen.
Pragmatismus und der Einfluss der Inuit-Kultur
Der Norweger Roald Amundsen war hingegen ein pragmatischer Abenteurer, der aus seinen früheren Expeditionen im Nordpolargebiet viel gelernt hatte. Er orientierte sich weniger an nationalen Traditionen als vielmehr an der Effizienz und Sicherheit, die nötig war, um seine Ziele zu erreichen. Besonders seine Erfahrungen mit den Inuit, die über Jahrtausende gelernt hatten, in kalten Regionen zu überleben, beeinflussten seine Entscheidungen. Deshalb setzte er auf Schlittenhunde und Kleidung aus Pelz, die viel besser für die antarktischen Bedingungen geeignet waren. Diese kulturelle Offenheit und seine Bereitschaft, von anderen zu lernen, waren Schlüsselfaktoren für seinen Erfolg.
Amundsen entschied sich außerdem bewusst für ein einziges Ziel: den Südpol zu erreichen. Im Gegensatz zu Scott hielt er wissenschaftliche Experimente und Nebenaufgaben für Ablenkungen. Seine Strategie konzentrierte sich ausschließlich darauf, effizient und sicher das Ziel zu erreichen, ohne zusätzliche Lasten oder Risiken auf sich zu nehmen.
Er betrachtete das Ziel der Expedition als gemeinsame Aufgabe, in der das Wissen und die Fähigkeiten jedes Einzelnen geschätzt und einbezogen wurden. Sein Ansatz war agil und kooperativ. Amundsen kommunizierte transparent und war offen für Rückmeldungen aus seinem Team
Beide Führungsansätze wurden im Verlauf des Wettlaufs auf die Probe gestellt, als die extremen Bedingungen der Antarktis von den Expeditionsteilnehmern alles abverlangten.
Die Wahl der Transportmittel
Bei der Auswahl der Transportmittel entschied sich Scott für Ponys und Motoren, in der Annahme, dass diese Technologien seiner Mannschaft zum Sieg verhelfen würden. Schlittenhunde empfand er als „unbritisch“. Doch die Ponys erwiesen sich schnell als ungeeignet für die eisigen und rutschigen Bedingungen, und die Motoren versagten im rauen Klima.
Amundsen hingegen setzte auf Schlittenhunde, die an die extremen Kältebedingungen angepasst waren und das Team schneller und mit weniger Energieaufwand transportieren konnten. Diese Wahl stellte sich als entscheidend für den Erfolg heraus: Während Scotts Team durch die erschöpften Ponys stark ausgebremst wurde, kamen Amundsen und seine Männer dank der Hunde effizienter voran.
Ernährung und Detailplanung: Kleine Entscheidungen, große Auswirkungen
Auch bei der Verpflegung zeigt sich, wie sehr Amundsen auf praktische Erfahrung und Kooperation setzte. Er hatte von den Inuit gelernt, dass eine proteinreiche Ernährung aus frischem Pinguin- und Robbenfleisch essenziell war, um Skorbut zu verhindern. Scotts Team hingegen setzte auf eine traditionelle Ernährung, die sich unter den harten Bedingungen als unzureichend erwies. Zudem kochte sein Team das Fleisch oft zu stark, wodurch wichtige Nährstoffe verloren gingen.
Amundsen überließ nichts dem Zufall und plante bis ins kleinste Detail. So stellte er sicher, dass alle Treibstoffbehälter richtig verschlossen waren, um ein Verdampfen zu verhindern. Scott hingegen benutzte Dichtungen, die in der Antarktis nicht funktionierten und in der Folge zu Treibstoffverlust und damit zu Wassermangel führten.
“Adventure is just bad planning.”
Von Schuhwerk bis zur Skiausrüstung lag Amundsens Fokus auf Details. Seine Bereitschaft, von anderen Kulturen zu lernen, machten den entscheidenden Unterschied in der Überlebensfähigkeit seines Teams und stellten sicher, dass sein Team stets einen Schritt voraus war.
Kooperation als Schlüssel zum Erfolg
Was Amundsen letztlich so erfolgreich machte, war sein kooperativer Führungsstil. Er verstand, dass jeder im Team eine wichtige Rolle spielte und förderte eine offene Kommunikation. Seine Teammitglieder waren aktiv in die Entscheidungsfindung eingebunden. Dadurch entstand ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Vertrauen – ein Vorteil, der das Team in kritischen Momenten zusammenhielt und motivierte.
Scott hingegen setzte auf Hierarchien und strikte Regeln, die wenig Raum für Anpassung oder Flexibilität ließen. Sein autoritärer Führungsstil führte dazu, dass er wichtige Warnungen und Vorschläge seiner Teammitglieder ignorierte.
Das Fehlen eines gemeinsamen Zielverständnisses und die mangelnde Anpassungsfähigkeit trugen dazu bei, dass Scotts Expedition tragisch scheiterte. Er erreichte im Januar 1912 erst einen Monat nach Amundsen den Südpol. Auf dem Rückweg starben er uns seine vier Begleiter an Unterernährung, Krankheit und Unterkühlung, nur wenige Kilometer von ihrem Basislager entfernt.
Weshalb gewann Amundsen das Rennen?
Der Erfolg von Amundsen lag in der Synergie zwischen Teammitgliedern, der Flexibilität des Führungsstils und der Anpassungsfähigkeit an die extremen Umweltbedingungen. Seine kooperative Führung schuf ein Umfeld, in dem sich alle Teammitglieder gehört und wertgeschätzt fühlen, was ihr Engagement und ihre Motivation förderten.
1. Flexibilität und Anpassung
Die kooperative Führung ermöglichte es Amundsen, seine Pläne bei Bedarf flexibel anzupassen. Durch das Einbeziehen seines Teams konnte er Herausforderungen wie Wetteränderungen oder Engpässe in der Versorgung schnell und effizient begegnen. Scott hingegen war durch seine hierarchischen Strukturen und den autoritären Stil weniger flexibel und konnte nicht adäquat auf die Schwierigkeiten reagieren.
2. Vertrauen und Eigenverantwortung
Amundsen schuf durch die kooperative Führung eine Vertrauenskultur. Er förderte den Austausch und das Verständnis unter den Teammitgliedern, was den Zusammenhalt stärkte. Jedes Mitglied hatte das Gefühl, Teil eines gemeinsamen Ziels zu sein, was zu einem hohen Engagement und einer persönlichen Bindung an die Mission führte. Scott hingegen hielt sich an eine hierarchische Struktur, was den Teamzusammenhalt schwächte und den individuellen Einsatz der Mitglieder hemmte.
3. Detailplanung und Lernen von anderen
Ein kooperativer Führungsstil setzt auf pragmatische Lösungen und realistische Ziele. Amundsen überlegte sorgfältig, wie die Ressourcen bestmöglich genutzt werden konnten und wie er das Team optimal auf die Reise vorbereiten konnte. Scott verließ sich hingegen auf teils veraltete Methoden und vertraute auf Disziplin und Durchhaltevermögen statt auf pragmatische Anpassungen an die Gegebenheiten.
Und 113 Jahre später?
Was können wir heute aus dieser historischen Fallstudie ableiten?
Beteiligung und Verantwortung fördern
Kooperative Führung stärkt das Gefühl der Verantwortung im Team und fördert die Eigeninitiative der Mitglieder. Wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, sich aktiv einzubringen, werden sie motivierter und übernehmen mehr Verantwortung.
Flexibilität als Erfolgsfaktor erkennen
In sich schnell verändernden Märkten oder Projekten ist die Fähigkeit, flexibel zu reagieren, entscheidend. Kooperative Führung ermöglicht es, verschiedene Perspektiven und Ideen einzubeziehen und so schneller auf Veränderungen zu reagieren.
Kommunikation und Transparenz leben
Regelmäßige und offene Kommunikation ist das Herzstück der kooperativen Führung. Führungskräfte, die sich an Amundsen orientieren, schaffen Transparenz und ein Arbeitsumfeld, in dem Bedenken und Ideen aktiv geäußert und respektiert werden.
Teamzusammenhalt stärken
Kooperative Führung fördert eine Kultur des Vertrauens und der gegenseitigen Unterstützung. Führungskräfte sollten sich darum bemühen, die Stärken und Schwächen ihrer Teammitglieder zu kennen und auf eine offene und unterstützende Arbeitsatmosphäre zu achten.
Kooperation schlägt Hierarchie
Der historische Wettlauf zum Südpol zeigt, dass autoritäre Strenge und Hierarchien in komplexen und unsicheren Situationen an ihre Grenzen stoßen. Amundsens kooperativer Führungsstil, der auf pragmatische Entscheidungen, Teamgeist und Respekt vor dem Wissen anderer setzte, führte zum Sieg und bewahrte seine Mannschaft vor lebensgefährlichen Fehlern. Führungskräfte brauchen mehr als nur formale Machtstrukturen und Anweisungen. Vielmehr sind Empathie, Kommunikation und ein kooperatives Miteinander gefragt, um in herausfordernden Zeiten bestehen zu können und die besten Leistungen aus dem Team herauszuholen, 1911 und 2024.
Beeindruckende Bilder der Expedition gibt es hier zu sehen https://rarehistoricalphotos.com/terra-nova-expedition-south-pole-pictures/
Bild: Dennis Rochel über Unsplash