Feedforward – mehr als nur Feedback
Traditionelles Feedback[1] wird häufig als einseitige Bewertung vergangener Leistungen wahrgenommen.
Feedforward hingegen sucht Geschichten des Gelingens und richtet den Fokus auf die erlebten Erfolgsfaktoren. Es stellt bewusstes Zuhören in den Mittelpunkt. Statt auf vergangene Fehler zu fokussieren, hilft dieser Ansatz im HR-Management, Coaching und in der Führungskräfteentwicklung dabei, die Bedingungen zu rekonstruieren, die zu Spitzenleistungen und persönlichem Wohlbefinden führen.
Hintergrund
Das Feedforward-Interview[2] wurde von Avi Kluger und Dina Nir an University of Jerusalem entwickelt und erstmals 2010 veröffentlicht, um einen anderen Ansatz zu Feedback und Leistungsbeurteilung zu bieten. Es basiert auf der Theorie und den Instrumenten der Appreciative Inquiry.
Die Notwendigkeit einer Alternative zu Noten oder Bewertungen ergab sich aus den Ergebnissen einer Meta-Analyse, die zeigte, dass fast 40% (!) aller Feedback Gespräche zu einem Leistungsrückgang führten und Mitarbeiterbewertungssystemen negativ wahrgenommen wurden[3].
Was unterscheidet Feedforward von klassischem Feedback?
Feedback, wie es in klassischen Jahresgesprächen (Performance Reviews) zum Einsatz kommt, ist oft retrospektiv und zeigt Fehler auf. Das kann leicht zu Verteidigungshaltung oder Frustration führen. Feedforward hingegen zielt darauf ab, Menschen zu helfen, ohne die Vergangenheit zu bewerten, indem es sich darauf konzentriert, die eigenen idealen Arbeitsbedingungen zu reflektieren und diese aktiv in die Gegenwart zu bringen und zu verstärken.
Zuhören ist der Schlüssel
Eine zentrale Komponente ist bewusstes Zuhören. Feedforward basiert auf einem offenen Dialog, bei dem es nicht nur darum geht, Ratschläge zu geben, sondern darum, den anderen wirklich zu verstehen. Dies fördert nicht nur eine stärkere zwischenmenschliche Verbindung, sondern erhöht auch die Akzeptanz und das Engagement für Veränderungen[4].
Wofür einsetzen?
Das Feedforward-Interview kann eingesetzt werden für
- die Entwicklung und Förderung von Mitarbeitern vor dem Prozess der Mitarbeiterbeurteilung oder des Feedbacks,
- als Alternative oder Ergänzung zur Mitarbeiterbeurteilung oder zum klassischen Feedbackgespräch,
- als Auswahlgespräch für Kandidaten für eine Stelle,
- im Coaching oder der Personalentwicklung oder
- im Lernen von Kunden über ihre besten Erfahrungen mit Dienstleistungen oder Produkten.
Der Ablauf im Überblick
Ein FeedForward Interview zeichnet sich durch eine besondere Struktur aus, die die Teilnehmer einlädt, erfahrungsbasiert über die Bedingungen für ihren individuellen Erfolg nachzudenken. Gleichzeitig werden tiefes Zuhören und Reflexion gefördert. In einem offenen Dialog werden positive Erfahrungen und Potenziale für die Zukunft erkundet.
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Einleitung
Der Interviewer fragt, ob es möglich ist, über positive Erfahrungen im aktuellen Arbeitskontext zu sprechen. Negative Erfahrungen werden anerkannt, im Fokus steht aber das Positive.
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Die Geschichte des Gelingens (Flourishing Story)
Der Interviewte wird gebeten, eine bestimmte Geschichte über eine Arbeitserfahrung zu erzählen, in der er sich am besten gefühlt hat, noch bevor er deren Ergebnisse kannte. Diese Geschichte soll eine Erzählung in den Mittelpunkt bringen, aus der es sich lohnt, zu lernen und positive Emotionen beim Interviewten hervorzurufen. Letztere dienen als Grundlage für das kontinuierliche Lernen aus der positiven Selbstreflexion der eigenen Geschichte.
„Können Sie mir bitte eine Geschichte über eine Erfahrung bei der Arbeit erzählen, bei der Sie sich am besten gefühlt haben, voller Leben und im Flow, noch bevor Ihnen die Ergebnisse bekannt wurden?“
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Der Höhepunkt (Peak Moment)
Im nächsten Schritt wird der Interviewte gebeten, den Höhepunkt der Erfahrung und seine Gedanken und Gefühle zu diesem Zeitpunkt zu beschreiben. Die episodische Erinnerung hilft, ein Gefühl des vergangenen Erfolgs zu beschreiben, das die Erfahrung real erscheinen lässt.
„Was war der Höhepunkt der Erfahrung? Was dachten Sie in diesem Moment? Was haben Sie in diesem Moment gefühlt? Möchten Sie diese Emotionen wieder erleben?“
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Die grundlegenden Voraussetzungen (Enabling Conditions)
Der Interviewte wird gebeten, die Bedingungen zu untersuchen, die seinen Erfolg in der Geschichte begünstigt haben. Zu den begünstigenden Voraussetzungen gehören sowohl interne als auch externe Faktoren.
„Was waren die Bedingungen, die diese Geschichte ermöglichten? Das heißt, was waren die Bedingungen für Sie, andere, die Organisation, den Ort oder das Timing, die diese Geschichte möglich gemacht haben? Gibt es sonst noch etwas?“
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Die Feedforward Frage
Der Interviewer lädt den Interviewten ein, aus seiner Geschichte zu lernen, welche Bedingungen er benötigt und selbst ermöglichen kann, um mehr Erlebnisse zu generieren, bei denen er persönliches Wohlbefinden erlebt und Spitzenleistungen zeigt.
„Betrachten wir die Bedingungen, die wir gerade entdeckt haben. Diese Bedingungen können Ihr innerer Code für persönliches Gedeihen und optimale Leistung bei der Arbeit sein. Inwieweit sind diese Bedingungen in Ihren Gewohnheiten, aktuellen Umständen und Plänen für die unmittelbare Zukunft vorhanden?“
„Was können Sie tun, um diese Bedingungen wiederherzustellen?“ bzw. „Was können Sie tun, um das Vorhandensein dieser Bedingungen noch zu verstärken?“
Die Vorteile von Feedforward:
- Weniger defensiv, höhere Qualität: Da Feedforward nicht auf vergangene Fehler abzielt, fällt es den Empfängern leichter, eigene Erfolgsfaktoren als Maßstäbe zu identifizieren. Die Leugnung von Wahrheitsgehalten fällt weg, denn der Befragte definiert die Erfolgskriterien selbst und wird diese nicht im Anschluß negieren.
- Fördert Zuhören und Reflexion: „Was möchtest du in der Zukunft noch einmal erleben?“ ist ein komplett anderer Ansatz als „Was lief schief?“. Das Teulen von Geschichten fördert tiefere Gespräche und gegenseitiges Verständnis. Das episodische Gedächtnis wird geschult.
- Stärkung von Beziehungen: Durch tiefes Zuhören entsteht eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit, die nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch das Teamwachstum vorantreibt. Die Bindung zwischen Interviewer und Interviewtem wird gestärkt und intrinsische Bedürfnisse, einschließlich Zugehörigkeit, Kompetenz und Autonomie werden befriedigt. Wohlbefinden, Kommunikation und Performance werden positiv beeinflusst.
Das Feedforward Interview schafft einen Raum für vertrauensvolle Reflexion und Offenheit. Durch gezielte Fragen werden eine positive, zukunftsgerichtete Haltung inklusive Stärken und Erfolge in den Mittelpunkt gestellt. So entsteht nicht nur eine gute Grundlage für individuelles Wachstum, sondern auch für den Aufbau einer resilienten, positiven Unternehmenskultur.
Foto: Roger Ce via Unsplash
[1] i.S.v. Jahres- oder Mitarbeitergesprächen
[2] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1053482209000734?via%3Dihub
[3] https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0033-2909.119.2.254
[4] https://hbr.org/2018/05/the-power-of-listening-in-helping-people-change?ab=at_art_art_1x4_s02